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  • Simon Rageth

Marktkunden nicht schützen, sondern Energie sparen

„Liacht löscha“ – ich höre meine Eltern noch heute in meinen Ohren. Die Worte stammen aus den 80er Jahren, als ich noch ein kleiner Bube war. Wir reisten als Familie häufig mit dem Zug zu meinen Grosseltern nach Süddeutschland, obwohl wir ein Auto hatten, einfach weil es ökologischer war. Wir verzichteten auf eine Spülmaschine, weil diese Strom brauchte. Wir teilten uns im Mehrfamilienhaus einen Tiefkühlschrank, weil einer ja reichte. Dies nur ein kleiner Auszug aus der Welt, in welcher ich vor rund 40 Jahren aufwuchs. Es war eine bescheidenere, eine energiesparendere Welt.


Spätestens Mitte der 90er Jahre gingen diese Tugenden mehr und mehr vergessen oder wurden von technologischen Entwicklungen überholt - ich nehme mich persönlich da nicht aus. Irgendwann kam der erste Computer ins Haus, ein Tiefkühlschrank je Haushalt, eine Knetmaschine, eine Game-Konsole, ein Tumbler, elektrische Storen und Zahnbürsten, rasiert wurde auf einmal mit der Maschine und auf meinen WLAN-Router möchte ich natürlich auch nicht verzichten. Strom war vorhanden, die Kosten dafür waren marginal und gingen im hiesigen Wohlstand unter und nicht zuletzt in Vergessenheit. Ich glaube nicht der einzige zu sein, dem es so ähnlich erging. In den letzten fünf Jahren hat sich dann immer mehr abgezeichnet und wurde uns wieder bewusster, dass Strom und Energie generell endliche Güter sind. Doch so richtig wach geworden sind wir erst Mitte des letzten Jahres, als – beschleunigt durch den Ukrainekrieg – die viel zitierte „Energiemangellage“ erklärt wurde und die entsprechenden Preise stiegen. Ich sehe darin jedoch auch eine Chance: Energiekosten sind nicht mehr ein zu vernachlässigendes Gut, sondern wir sind uns wieder bewusst geworden, was hinter Energie steckt und lernen wieder mit ihr umzugehen - wahrscheinlich das einzige Verdienst des amtierenden russischen Präsidenten.


Ähnlich wie den privaten Personen ist es auch Unternehmen ergangen – Marktpreise sind nicht mehr attraktiv. Die Energiediskussion drehte sich in den letzten Wochen und Monaten insbesondere um die signifikante Zunahme der Energiepreise, welche einige Unternehmen, die Strom auf dem freien Markt einkaufen und noch keine längerfristigen Verträge abgeschlossen haben, natürlich besonders hart treffen, auch wenn sich die Situation aktuell wieder etwas entschärft hat. 2009 wurde der Schweizer Strommarkt teilweise liberalisiert. Seither können grosse Stromverbraucher mit einem jährlichen Verbrauch von mehr als 100‘000 kWh wählen, wo sie ihren Strom beziehen, und so von günstigeren Konditionen als die Kunden in der Grundversorgung profitieren. In Graubünden haben sich rund 400 bis 500 Unternehmen für diesen freien Markt entschieden. Diese Marktkunden konnten sich in den letzten gut zehn Jahren einen Marktvorteil erwirtschaften. Entsprechend war es irritierend zu lesen, als Gewerbeverband-Direktor und SVP-Mitglied Hans-Ulrich Bigler gemäss einem Bericht in der NZZ am Sonntag bereits im August vorschlug, dass Marktkunden wieder in die Grundversorgung wechseln können. Dies widerspräche sämtlicher Marktlogik und wäre eine grobe Wettbewerbsverzerrung. Diese Unternehmen – egal ob es Hotels, Bergbahnen oder industrielle Betriebe sind – hatten zuletzt Vorteile, und jetzt eben halt Nachteile. Schön zu hören war es entsprechend, dass in der SRF Eco Talk Sendung vom 14. November 2022 auch Bündner Hotellerie- und Gastronomievertreter sich gegen eine staatliche Unterstützung wegen den erhöhten Energiepreisen äusserten, da dies einem Eingriff in den freien Markt gleichkommen würde.


Soweit ist es bisher jedoch nicht gekommen, was gut ist. Die Preise haben sich wieder etwas gesenkt, die Situation bleibt aber fragil. Auch wenn die Strom- und Energiepreise Private und Unternehmen derzeit arg ärgern, so sehe ich positive und erfreuliche Entwicklungen. Das Thema Energie wird wieder reflektiert, man macht sich Gedanken, wie diese gespart oder deren Verbrauch reduziert werden kann. Betriebsabläufe werden nach Energieverbrauch optimiert, Geräte werden energieeffizienter gestaltet und der Konsum von Energie wird auch im privaten Bereich verbessert. Dies hilft, denn wir wissen: Ein wichtiger Hebel in der Energiewende ist die Energieeffizienz. Und mit der Energiemangellage ist dieser Hebel in Gang gesetzt worden. Hoffen wir, dass dieses Bewusstsein lange anhält. „Liacht löscha“ soll es nicht für energiepreisgeschädigte Unternehmen bedeuten, „Liacht löscha“ soll wieder eine Tugend werden.


(Dieser Beitrag ist als Gastkommentar am 24. Januar 2023 im Bündner Tagblatt erschienen)

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