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  • Simon Rageth

Mein Votum zum Auftrag Rageth betreffend Stimm- und Wahlrecht kantonal für Ausländer:innen



Sehr geehrter Herr Standespräsident, Hohe Regierung, Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, 


Sie haben es bereits in meinem Auftragstext gelesen, die Einbürgerungen gehen zurück, dies bei steigender Einwanderung insbesondere auch aufgrund des Fachkräftemangels. Die Rechnung ist einfach: Prozentual immer weniger Menschen, welche in der Schweiz und in Graubünden leben, arbeiten und Steuern zahlen, dürfen bei Wahlen und Abstimmungen teilnehmen. Dies schafft eine Schere, welche ich als gefährlich betrachte. Denn wer nicht mitbestimmen darf, kann sich ausgeschlossen fühlen und es entstehen Gräben, welche auch in anderen Ländern Europas bereits bestehen. Kurz gesagt: es besteht ein Demokratiedefizit, wenn das Volk nicht mitbestimmen kann. Soweit wahrscheinlich der unbestrittene Teil meines Vorstosses.


Es stellt sich jetzt also die Frage, wer das Volk denn sein soll. Die SVP-Kolleginnen und -Kollegen auf der Seite gegenüber werden wohl sagen, dass dies jene mit Schweizer Pässen sind. Dieser Meinung kann man sein, doch greift dies aus meiner Sicht zu kurz – viel zu kurz. Jeder fünfte Mensch in Graubünden gehört nicht zu dieser exklusiven Gruppe mit Schweizer Pass. Doch auch diese rund 20 Prozent der Bevölkerung sind ein äusserst wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft. Es sind Menschen, die hier Arbeiten und damit unsere Wirtschaft stützen, es sind Menschen, welche in unseren Sport- und Kulturorganisationen Freiwilligenarbeit leisten, es sind Menschen, die hier Steuer zahlen und damit zu unserem Wohlstand beitragen, es sind Menschen wie du und ich, einfach ohne Schweizer Pass. Der Schweizer Pass ist ein hohes Gut, welches er auch bleiben soll, darin sind die SVP-Kolleginnen und Kollegen mit mir wohl einig. Die Frage, die sich heute und jetzt aber stellt, ist, ob ein Wahl- und Stimmrecht auf kantonaler Ebene im Integrationsprozess eines Menschen vor oder nach diesem Schweizer Pass steht. Aus meiner Sicht kann dieses Recht ohne weiteres zeitlich vor dem Schweizer Pass kommen. Dies kann uns dazu helfen, dass jene Menschen, welche wir dann zu „Schweizern“ küren – falls es überhaupt soweit kommt – bereits gut in unser gesellschaftliches und politisches Leben und Denken integriert sind.


Ich möchte den SVP-Vertreter:innen und anderen konservativen Kräften in diesem Rat die Angst nehmen, dass ich allenfalls Asylbewerbenden das Stimm- und Wahlrecht geben möchte. Denn – und hier dürften wir uns wieder einig sein – auch ich bin der Meinung, dass wer politisch mitbestimmt, gut integriert sein muss. Bei Menschen mit beispielsweise Niederbelassungsbewilligung C ist dies ohne jeden geringsten Zweifel der Fall. Diese Menschen sind bestens integriert, leben seit mindestens fünf Jahren – in der Regel aber noch länger bis viel länger – bei uns, haben ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht und sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Oder um es in den Worten von Regierungsrat Marcus Caduff auf die Frage von meiner Kollegin Saratz Cazin anlässlich der Fragestunde gestern Vormittag zu sagen, Zitat: „ausländische Arbeitskräfte sind von hoher Volkswirtschaftlicher Bedeutung.“


Ich möchte Ihnen als erstes Beispiel die fiktive Geschichte von – entschuldigen Sie die plakativen Namen – Gian und Fatima erzählen. Sie sind in unterschiedlichen Familien als Nachbarn aufgewachsen. Gians Eltern sind Bündner, also Schweizer, Fatimas Eltern sind zugezogene Ausländer. Gian und Fatima gehen gemeinsam in den Kindergarten, besuchen dieselbe Primarschule, kämpfen sich zusammen durch die Bündner Kantonsschule und werden 18 Jahre alt. Während Gian per sofort an Grossratswahlen teilnehmen kann und stimmberechtigt ist, ist Fatima dieses Privileg verwehrt. Ich persönlich finde das nicht fair. Klar, Fatima könnte sich jetzt einbürgern lassen, doch kann oder will sie sich dies nicht leisten. Ende der fiktiven Geschichte. Mein Nachbar ist übrigens genau so ein Mensch. Er ist Italiener. In Chur geboren und aufgewachsen, sein Arbeitgeber ist der Kanton Graubünden, er spricht Bündnerdialekt, ist über 40 Jahre alt, geheiratet hat er eine Bündnerin und seine beiden Kinder gehen in Zizers zur Schule. Ein ähnlicher Werdegang hat mein Arbeitskollege mit deutschem Migrationshintergrund. Abstimmen und Wählen dürfen sie bis heute nicht. Klar, sie könnten sich einbürgern lassen, doch das kostet und beinhaltet auch weitere Hürden, und politische Mitbestimmung – so bin ich fest der Überzeugung – politische Mitwirkung gerade für Mensch die schon sehr gut bis vollständig integriert sind darf nichts kosten und soll man sich nicht erkaufen müssen – gerade nicht in einer direkten Demokratie.


Oder um noch ein zweites Beispiel anzufügen: Ein Schweizer aus Genf, welcher nach Chur zügelt, darf vom ersten Tag an mitbestimmen, auch wenn er womöglich keine der drei Kantonssprachen spricht. Ein italienischer Secondo, welcher seit Geburt und seit 40 Jahren in Chur lebt, darf es nicht – ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie wollen wir das erklären?


Die Regierung schreibt in ihrer Antwort, dass Ausländerinnen und Ausländer gemäss Petitionsrecht (Art. 33 BV) bereits politisch mitbestimmen können. Ja schön, hohe Regierung, in Absatz zwei desselben Artikels der Bundesverfassung steht, dass „die Behörden von Petitionen Kenntnis zu nehmen haben“. Dies als politische Mitbestimmung zu bezeichnen, erachte ich ehrlich gesagt als Hohn. Ich möchte nicht, dass Ausländerinnen und Ausländer, welche integriert sind und hier Steuern zahlen, eine Petition einreichen müssen, sondern ich wünschte mir doch ganz einfach, dass sie beispielsweise zum Kredit zur Realisierung des Fachhochschulzentrums ja oder nein sagen dürfen. Nicht mehr und nicht weniger.


Es sind wohl wenige hier im Raum, welche Anfang der 70er Jahre für oder gegen das Frauenstimmrecht gestimmt hatten, heute ist dies selbstverständlich und ich bin überzeugt davon, dass auch das Ausländerstimm- und Wahlrecht eine Selbstverständlichkeit werden wird, denn sie tragen wie wir, Frauen und Männer, gleichermassen zum Erfolgsmodell Schweiz bei.


In diesem Sinne geschätzte Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie meinen Auftrag zu überweisen. Besten Dank für Ihre Unterstützung.


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