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Ein neues Sicherheitsbedürfnis

  • Autorenbild: Simon Rageth
    Simon Rageth
  • 12. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Bis Ende 2019 hatten wir es eigentlich doch ganz gut. Wir lebten in der Schweiz quasi in einer Wohlfühloase. Klar wir hatten damals schon unsere Probleme und klar, uns geht es auch heute noch gut. Und trotzdem hat sich in den letzten fünf Jahren verschiedenes stark verändert. Am Beispiel der Maslowschen Bedürfnispyramide lässt sich dies illustrieren. Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist ein bekanntes, stark vereinfachtes Modell zur Hierarchisierung menschlicher Bedürfnisse. Am Boden der Pyramide sind psychologische Bedürfnis, darüber die Sicherheit, gefolgt von sozialen und individuellen Bedürfnissen bis zur Spitze, der Selbstverwirklichung. In dieser Selbstverwirklichung lebten wir wie ich meine bis 2019 doch ziemlich stark. In den letzten Jahren haben jedoch tiefgreifende geopolitische und eine gesundheitliche Krise diese Prioritäten wohl etwas verschoben.


Bis zur Coronapandemie war die Selbstverwirklichung für viele Menschen ein greifbares Ziel. In einer Welt, die von relativer Stabilität und Sicherheit geprägt war, konzentrierten wir uns auf persönliche und berufliche Entwicklung, unsere Träume versuchten wir zu verwirklichen. Doch die Pandemie hat die Welt zumindest temporär aus den Angeln gehoben und ein kollektives Sicherheitsbedürfnis in den Vordergrund gerückt. Corona hat nicht nur unsere Gesundheit und Lebensweise bedroht, sondern auch die wirtschaftliche Sicherheit vieler Menschen. Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und die Unsicherheit über die Zukunft haben dazu geführt, dass grundlegende Bedürfnisse wie Schutz, Gesundheit und finanzielle Stabilität wieder in den Mittelpunkt gerückt sind. Die Überlebensinstinkte wurden geweckt und das Streben nach Selbstverwirklichung musste vorerst zurückstehen.


Gerade hatten wir Corona überwunden und dürften mit den Olympischen Spielen in Peking wieder ein gesellschaftliches Grossereignis geniessen und von Selbstverwirklichung träumen, da wurden wir durch Putin zurückgepfiffen. Wenige Tage nach den Olympischen Spielen brachte dieser mit seinem Angriffskrieg in der Ukraine den Krieg zurück nach Europa. Das Gefühl von Sicherheit in Europa ist seither erschüttert und wir schlitterten in der Pyramide wieder einige Stufen runter. Die Bedrohung durch Cyberangriffe und hybride Kriegsführung haben gezeigt, dass traditionelle Sicherheitskonzepte nicht mehr ausreichen, um unsere europäische, moderne Welt zu schützen.


Und schliesslich haben wir seit kurzem mit der Präsidentschaft von Donald Trump in den Vereinigten Staaten auch unseren Weltpolizisten, einen verlässlichen und wichtigen Partner verloren. Durch seine unberechenbare und polarisierende Politik trägt Trump nun ebenfalls zur globalen Unsicherheit bei. Seine Entscheidungen und Äusserungen haben internationale Beziehungen destabilisiert und das Vertrauen in politische Institutionen erschüttert. Der Rückzug der USA aus wichtigen internationalen Abkommen und seine aggressive Handelspolitik haben die globalen Märkte zuletzt stark verunsichert und das Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit verstärkt.


Die Summe dieser drei Faktoren – Corona, Putin und Trump – hat das Sicherheitsbedürfnis verstärkt und uns in der Maslowschen Pyramide wieder weiter nach unten gebracht. Wir suchen heute mehr nach Sicherheit, wirtschaftlicher Stabilität und einem verlässlichen politischen Umfeld. Das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit scheint das Streben nach Selbstverwirklichung, das in Zeiten relativer Stabilität so wichtig war, derzeit zu überwiegen.

Entsprechend müssen wir unseren Fokus wieder etwas enger setzen. Die Schweiz liegt inmitten Europas und die Sicherheit Europas ist unsere Sicherheit. Lange Zeit haben sich Europa und die Schweiz zu stark auf die USA verlassen und es versäumt, in ihre Verteidigungsfähigkeit und Resilienz zu investieren. Unsere Armee muss gezielt modernisiert werden und dies in Koordination mit Europa. Wir müssen uns vor Cyberangriffen und Desinformation schützen. Diplomatische Bemühungen zur Friedensförderung müssen verstärkt werden. Wir müssen unsere Energieversorgung möglichst vom Ausland unabhängig machen, indem wir in einheimische, erneuerbare Energien investieren und eine Speicherstrategie erarbeiten. Und nicht zuletzt müssen wir unsere demokratischen Werte verteidigen und versuchen, diese Werte in die weite Welt zu tragen.


In Zeiten der Unsicherheit ist es wichtiger denn je, dass wir uns als Gesellschaft und als Individuen auf unsere grundlegenden Bedürfnisse besinnen, quasi das Fundament der Pyramide wieder festigen und Strategien entwickeln, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten. Wenn uns dies gelingt, können wir darauf wieder aufbauen.


(Dieser Beitrag erschien am 10. April 2025 als Gastkommentar im Bündner Tagblatt)

 
 
 

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